Bundeskartellamt veröffentlicht neue Bußgeld- und Kronzeugenleitlinien

12.10.2021
12.10.2021

Das Bundeskartellamt hat gestern neue Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellverfahren und zum Kronzeugenprogramm veröffentlicht. Die Behörde will sich damit mehr an der gerichtlichen Praxis der Bußgeldzumessung orientieren und das Kronzeugenprogramm konkretisieren. Beide Leitlinien führen auch zu einer Anpassung an die neue Gesetzeslage nach Einführung der 10. GWB-Novelle.

Die Höhe der Bußgelder soll sich nach Aussage des Bundeskartellamts nicht wesentlich verändern. Insbesondere folgende Punkte aus den neuen Leitlinien sind allerdings hervorzuheben:

  • Mehr Unsicherheit bei der Bußgeldberechnung. Nach den alten Bußgeldleitlinien erfolgte die Bußgeldberechnung grundsätzlich formelhaft. Das Bundeskartellamt hatte dadurch zwar wenig Flexibilität im Einzelfall, Unternehmen konnten den sie ggf. erwartenden Bußgeldrahmen jedoch – ähnlich wie bei der Europäischen Kommission – relativ gut vorhersehen. Dies ist nun vorbei. Das Bundeskartellamt bestimmt nur noch den sog. Ausgangswert formelhaft und legt auf dieser Basis im Rahmen einer Gesamtabwägung anhand einer Reihe von Kriterien das konkrete Bußgeld fest.
  • Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen vor einem Kartellverstoß. Die neuen Bußgeldleitlinien konkretisieren, inwiefern Compliance-Maßnahmen zu einer Bußgeldreduktion führen. Bereits Compliance-Maßnahmen, die im Vorfeld eines Kartellverstoßes ergriffen wurden („Vortat-Compliance“), können positiv berücksichtigt werden, insbesondere wenn sie zur Aufdeckung und Anzeige des Kartellverstoßes geführt haben. Derartige Compliance-Maßnahmen werden allerdings nicht berücksichtigt, wenn die Unternehmensleitung am Kartellverstoß beteiligt war.
  • Berücksichtigung von Compliance-Programmen Maßnahmen nach einem Kartellverstoß. Nach einem Kartellverstoß eingeführte Compliance-Maßnahmen („Nachtat-Compliance“) können ebenfalls positiv berücksichtigt werden. Das gilt laut dem Bundeskartellamt insbesondere dann, wenn Unternehmen bei der Aufklärung der Tat aktiv kooperieren. Die Behörde setzt damit weitere Anreize für Kooperation: Wer Kartellverstöße selbst anzeigt und mit der Behörde kooperiert, dessen Compliance-Maßnahmen werden tendenziell bußgeldmindernd berücksichtigt. Diese Unternehmen können also von einer Bußgeldreduktion im Rahmen des Bonusprogramms und zusätzlich von einer Bußgeldreduktion aufgrund ihrer Compliance-Maßnahmen profitieren.
  • Keine Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen von Unternehmen, die nicht kooperieren? Es fällt auf, wie sehr das Bundeskartellamt betont, dass Compliance-Maßnahmen insbesondere berücksichtigt werden können, wenn Unternehmen mit der Behörde kooperieren. Dabei kann es für Unternehmen viele Gründe geben, sich trotz eines wirksamen Compliance-Programms gegen eine Kooperation zu entscheiden. Inwiefern das Bundeskartellamt bereit ist, auch Bußgelder gegen Unternehmen zu reduzieren, die nicht kooperieren, muss die Praxis allerdings erst noch zeigen.

Die neuen Leitlinien zum Kronzeugenprogramm lassen die grundsätzliche Systematik unberührt, enthalten jedoch bedeutende kleinere Veränderungen:

  • Ring-leader kann Kronzeuge sein. Der Anführer eines Kartells konnte nach der Kronzeugenmitteilung von 2006 nicht zugleich Kronzeuge sein. Das ist nunmehr anders. Dafür entfällt die Möglichkeit einer Privilegierung künftig schon dann, wenn der Kronzeuge in der Vergangenheit versucht hat, Mitkartellanten zur Beteiligung oder zum Verbleib im Kartell zu zwingen.
  • Unverzügliches Abstellen von Verstößen. Wie bei Verfahren vor der Europäischen Kommission ist der Kronzeuge künftig grundsätzlich dazu verpflichtet, Verstöße sofort abzustellen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Bundeskartellamt eine vorübergehende Fortsetzung verlangt. Zuvor war der Ansatz umgekehrt: Der Kronzeuge sollte den Verstoß nur nach Aufforderung durch das Bundeskartellamt beenden.
  • Vorverlagerung der Kooperationspflicht. Schließlich ist der Kronzeuge zu einem frühen Zeitpunkt verpflichtet, keine Dokumente oder Beweismittel zu vernichten. Diese Pflicht greift nicht erst nach Antragsstellung ein, sondern bereits während der Phase des Erwägens einer Antragsstellung.  

Die neuen Bußgeldleitlinien stellt das Bundeskartellamt hier bereit, die neuen Leitlinien zum Kronzeugenprogramm hier.